Ein Zukunfts-Szenario
Geschrieben von Emanuel am 10. Mai 2007 23:06:26:
Hallo,
ich habe für einen Telepolis-Wettbewerb mal folgende Erzählung geschrieben, die ich hier einmal reinstellen möchte.
DIe vorkommenden Jahreszahlen sind wirklich frei erfunden und gehen auf keine Prophezeiungen zurück. Das Gesamtszenario ist zwar sicherlich ein Worst-Case-Szenario, aber nach dem was Schäuble und co. gerade alles so vorhaben (leider) auch nicht mehr so weit entfernt.Gruss,
Emanuel
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Die Erlebnisse des Bernd M.
Da saß er nun... Wie hatte das nur alles kommen können ? Er sei aufgrund subversiver und den Terrorismus unterstützender Aktionen in „Schutzhaft“ genommen worden. „Man könne sonst nicht mehr für seine Sicherheit garantieren“ sagte der Feldwebel der Bundeswehr bei seiner Verhaftung. Eine Anhörung zu seinem Fall wurde ihm in drei Monaten in Aussicht gestellt. Richter befanden ja schon lange nicht mehr über die Rechtmäßigkeit von Verhaftungen.
Er fragte sich, wie die Anschuldigung, Sprengstoff herzustellen, zustande gekommen sein könnte ?Gut, er hatte vor einem Jahr in einer Drogerie Salpeter gekauft, weil er in einem Buch gelesen hatte, dass Salpeter seinen etwas kümmerlichen Zimmerpflanzen auf die Sprünge helfen könnte. Im Sommer darauf hatte er im Garten ein Schädlingsproblem, dem er mit Schwefel zu Leibe rücken wollte, da er Chemie in seinem Garten nicht einsetzen mochte. Diesen hatte er über das Internet bestellt. Kohle für seinen kleinen Ofen im Schuppen kauft er sowieso regelmäßig bei einem Baumarkt in der Nähe. Daran, dass diese Materialien in Kombination auch dazu dienen könnten, Schwarzpulver herzustellen, hatte er natürlich nicht gedacht.
Ja, früher konnte man noch mit Bargeld bezahlen. Aber nach dem großen Währungs-Crash 2008 war das Geld in der westlichen Welt über Nacht nichts mehr wert, genau wie während der Hyperinflation in den zwanziger Jahren in Deutschland, nur auf weltweiter Ebene. Das Chaos war perfekt und alle - natürlich auch er – forderten von den Verantwortlichen eine schnelle Lösung des Problems. Tatsächlich war man sich dann auf globaler Ebene erstaunlich schnell einig, dass eine internationale Währungsreform umgehend durchgeführt werden muss, mit einer einheitlichen Währung als Ergebnis. Man hatte sogar sehr intelligente Lösungen für die daraus resultierenden Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Ländern parat. Auch ihm erschien es logisch, dass die Einführung einer neuen Währung auf Bargeld-Basis die Zeit des Chaos massiv verlängert hätte, deshalb begrüßte auch er die Einführung der neuen elektronischen Währung. Neunzig Prozent der Bevölkerung waren ja bereits im Besitz einer Kredit- oder EC-Karte, die weiter verwendet werden konnten. Somit konnten quasi über Nacht wieder geordnete Verhältnisse geschaffen werden.
Der Großteil der Menschen war dankbar, dass in vielen Bereichen wieder Normalität eingekehrt war, nur ein paar Verrückte echauffierten sich über das neue System mit Hinweisen auf die Bibel, in der etwas von einem „Zeichen des Tieres“ stand, ohne das keiner mehr etwas kaufen oder verkaufen könne. Gut, die Vielzahl der Karten, die jeder mittlerweile hatte, wurden zwei Jahre später durch eine Universalkarte ersetzt, aber das erleichterte ihm das Leben ja wirklich, denn vorher hatte er über zehn Karten jederzeit bei sich zu führen. Von daher war er froh, als er nur noch eine Karte hatte, mit der er alles erledigen konnte. Dass er natürlich eine elektronische Spur hinterließ, die jeden seiner Käufe und Verkäufe irgendwo abspeichert, war ihm zu diesem Zeitpunkt nur am Rande bewusst. Es wurde ja garantiert, dass die einzelnen Konzerne ihre Daten nicht abgleichen durften und außerdem hatte er ja auch nichts zu verbergen. Die Geheimdienste sollten ja Terroristen fangen, die alle und damit auch ihn bedrohten, von daher mussten sie wohl auch diese Überwachungsmöglichkeiten haben.Die ganze Datenschutz-Debatte in Deutschland, die so gegen 2005 aufflammte, kam nach den Anschlägen in Berlin und Frankfurt im Herbst 2007 sehr schnell komplett zum erliegen. Während sich die Innenminister, egal von welcher Partei, davor noch immenser Kritik ausgesetzt sahen, als sie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Nutzung der technischen Einrichtungen zur Abrechnung der mittlerweile eingeführten PKW-Maut zur Terrorismusbekämpfung und die vollständige Protokollierung sämtlicher Internet- und Telekommunikationsaktivitäten forderten, hatte auch er nach den Anschlägen gefordert, doch endlich etwas gegen diese Terroristen zu tun.
Eine Reihe von Grundrechten wurden danach eingeschränkt und die Bundeswehr übernahm Aufgaben bei der inneren Sicherheit, denn mit den überlasteten Richtern und Staatsanwälten war man einfach nicht mehr dazu in der Lage, schnell genug auf die allgegenwärtige Bedrohung zu reagieren. Angefangen hatte die Aushöhlung des Rechtsstaates ja schon damit, dass man hoheitliche Daten Konzernen zur Verfügung gestellt hatte, damit diese ihre Rechtsansprüche gegen „Raubkopierer“ und andere unliebsame Personen durchsetzen konnten. Er hatte das am Anfang ja noch belächelt, da er mit diesen Tauschbörsen sowieso nie etwas zu tun hatte. Allerdings fiel ihm im Laufe der Zeit schon auf, dass erstaunlich viele Seiten im Internet auf einmal verschwunden waren. Diskussionsforen zu Problemen mit diversen Firmen waren als erstes betroffen, aber auch Foren zu anderen kritischen Themen verschwanden von einem Tag auf den anderen. Ihm fiel wieder ein, dass die Seite einer kleinen Zeitung am Rande Deutschlands auf einmal nicht mehr erreichbar war. Diese Seite hatte er gerne besucht, da er hier Informationen erhielt, die er in Tagesschau, Heute und diversen Nachrichtenmagazinen in Papierform schon lange nicht mehr gefunden hatte. Die Begründung zur Schließung der Seite war, dass dort rechtsradikale Thesen verbreitet würden.
Diesen Vorwurf erhielt auch er bei seiner Verhaftung. Ausgerechnet er, der die Greuel der Nazis aus erster Hand noch von seinem Großvater geschildert bekommen hatte, welcher im KZ nur knapp dem Tod entronnen war. Aber er hatte natürlich weiterhin versucht, über das Internet verschiedene Sichtweisen zu den tagesaktuellen Entwicklungen zu bekommen. Das hatte ihn sein Großvater noch nach seinen Erfahrungen mit dem dritten Reich gelehrt. „Höre nie nur eine Seite zu den wichtigen Dingen des Lebens an, wie wohlfeil und (selbst-)gerecht sie auch daher kommen mag“ hatte er immer gesagt. Einige dieser Seiten, die er deshalb regelmäßig besucht hatte, waren dann wohl aber auch als „rechtsradikales Gedankengut“ abgestempelt. Ihn wunderte nur dass auf den meisten dieser Seiten wenig oder nichts über die Zeit des dritten Reichs oder die jüdischen Mitbürger enthalten war und auch Fremdenfeindlichkeit war beim besten Willen nicht zu entdecken.
Telepolis hatte er vor 2008 ebenfalls immer gerne gelesen, weil dort kritische Autoren wirklich gute Artikel geschrieben hatten. Leider wurde im Dezember 2007 beschlossen, das Konzept komplett zu ändern, so dass danach auch diese Quelle guter Information versiegt war. So langsam dämmerte ihm, wie die von ihm zur Terrorismusbekämpfung gut geheißene Totalüberwachung des Internets nun seine angebliche „rechtsradikale Gesinnung“ zutage gefördert hatte.
Er hatte sich beim Surfen im Internet nie viele Gedanken gemacht, denn er hatte ja nichts zu verbergen. Allerdings hätte er schon hellhörig werden müssen, als nach dem Bruch der großen Koalition ein extremer Linksruck bei der nachfolgenden Bundestagswahl stattfand. Die neue linke Regierung kündigte in ihrer ersten Regierungserklärung dann auch an, dass sie gedenkt, die Überwachungsmaßnahmen zur Terrorismusbekämpfung dafür zu nutzen, das „rechte“ Gedankengut ein für alle Mal aus Deutschland „auszumerzen“. Dieser Begriff stieß ihm dann doch sehr unangenehm auf, denn er kannte ihn auf politischer Ebene eigentlich nur aus dem Geschichtsunterricht. Er fragte sich jetzt, ob den vorherigen Bundesregierungen wirklich klar gewesen war, was für einen Überwachungsapparat sie in der Vergangenheit, vielleicht durchaus mit besten Absichten, geschaffen hatten. Die neue Regierung war demokratisch gewählt worden, aber einige Äußerungen, die der neue Bundeskanzler von sich gab, hätten ihm zwanzig Jahre zuvor noch ein Verfahren wegen Volksverhetzung beschert.Es fiel ihm jetzt wieder die Geschichte von seinem Großvater ein, der ihm erzählte, dass im zweiten Weltkrieg sowohl Dänemark als auch Norwegen von den Nazis besetzt war. In Norwegen wurden sehr viele Juden aufgespürt, verschleppt und getötet während in Dänemark glücklicherweise viele ihren Häschern entkommen konnten. Nun waren die Norweger keinesfalls den Deutschen besonders gut und kooperativ gesonnen, aber im Gegensatz zu den Dänen hatten sie ihre Bevölkerung (aus durchaus ehrenwerten Motiven) umfangreich auf Karteikarten erfasst. Dieser Umstand nutzte den Deutschen natürlich sehr, um ihre Untaten begehen zu können. Deshalb mahnte sein Großvater immer, genau abzuwägen, welche Maßnahmen wirklich unabdingbar sind. Alle Maßnahmen zur Überwachung und Einschränkung der Meinungsvielfalt beinhalten immanent die Gefahr des Missbrauchs, auch wenn sie ursprünglich mit besten Motiven eingeführt wurden.
Nicht schlecht gestaunt hatte er auch, als ihm bei der Verhaftung ein Protokoll vorgelegt wurde, in dem akribisch vermerkt war, wann und wo er sich in den letzten fünf Jahren mit seinem Schulfreund Achmet, dem Sohn eines Exil-Iraners getroffen hatte. Auch seinen Besuch am „Tag der offenen Moschee“ fand er dort, obwohl er dorthin zu Fuß gegangen war. Ob jetzt sein Handy, das durch die eingebaute GPS-Funktion natürlich noch genauer zu orten ist, als vorher schon möglich oder ob der RFID-Chip in seiner Jacke seiner Überwachung diente, war letztendlich egal. Offensichtlich konnte jemand minutiös nachvollziehen, an welchem Ort er sich wie lange befunden hatte – und das über Jahre hinweg. Irgendwie war es ihm ja eigentlich klar gewesen, dass diese Möglichkeiten existieren, aber wie gesagt: „es ging ihn ja nichts an, er hatte ja nichts zu verbergen...“.Ganz langsam dämmerte es ihm, dass seine Verhaftung auch mit seiner Verweigerung zu tun haben könnte, sich den Chip einpflanzen zu lassen. Nach einigen bekannt gewordenen, spektakulären Betrügereien mit der Universal-Chipkarte wurde von der Werbung massiv dieser Chip in Szene gesetzt. „Keine Chance für Betrüger und Kartendiebe, mit ihrer Identität Verbrechen zu begehen !“, „Kein Verlieren, Vergessen, Diebstahl oder Missbrauch mit Ihrer Karte mehr möglich !“, so dröhnte es aus allen Medien. Tatsächlich hatten viele seiner Bekannten sich den Chip schon einpflanzen lassen, denn die Vorteile waren offensichtlich. Die Chips existierten seit Anfang des Jahrzehnts und die Unschädlichkeit bezüglich der Gesundheit wurde in Langzeitversuchen nachgewiesen. Bereits 2005 gab es Menschen, die sich einen solchen Chip einpflanzen ließen, um in einer Disco auf Mallorca die Cola bezahlen zu können. Nur er war nicht bereit gewesen, diesen Schritt auch zu gehen, denn es behagte ihm nicht, dass er danach nicht mehr in der Lage sein würde, selbst zu entscheiden, ob er sein „Kennzeichen“ mitnehmen will oder nicht. Die Karte, das Handy und die Jacke mit dem RFID-Chip konnte er zumindest beim Spaziergang im Wald willentlich zuhause lassen.
Auf einmal kam ein Offizier in seine Zelle. Er runzelte die Stirn und murmelte etwas von schweren Anschuldigungen und einer mehrjährigen Haftstrafe. Allerdings wären die Gefängnisse auch massiv überfüllt und er hätte einen Vorschlag für ihn: Wenn er bereit wäre, sich den Chip einpflanzen lassen würde, wäre man bereit, ihm Haftverschonung zu gewähren. Jetzt wurde ihm klar, woher der Wind wehte. Er wollte sich weigern, aber da erschien schon ein Arzt mit der Kanüle im Raum. Er kämpfte, als ginge es um sein Leben und dann...
... dann wachte er schweißgebadet auf. Die rechte Hand schmerzte und für kurze Zeit glaubte er, der Chip wäre ihm in diese Hand implantiert worden. Dann realisierte er aber, dass er im Bett lag und sich noch im Jahre 2007 befand. Vielleicht hätte er vor dem Einschlafen ja doch nicht George Orwells „1984“ lesen sollen. Dieser Traum war allerdings derart realistisch und „1984“ war nur ein Kindergarten gegenüber den Möglichkeiten und Ereignissen in seinem Traum. Er rekapitulierte nun, welche Dinge aus seinem Traum schon real möglich sind oder sich zumindest in einem weit fortgeschrittenen Planungsstadium befinden.Ihm war klar, dass er ein „Worst Case Szenario“ der Zukunft geträumt hatte. Ihm wurde aber auch klar, dass genau hier und heute noch die Möglichkeit besteht, dieses Szenario zu verhindern. Er begann, sich intensiv zu informieren und mit Gleichgesinnten über die heute noch existierenden Möglichkeiten der Petitionen, Ansprache der gewählten Volksvertreter, Demonstrationen und Publikationen vielen der sehr gefährlichen Entwicklungen entgegenzutreten. Er erinnerte sich daran, dass die Väter des Grundgesetzes mündige Bürger wollten, die eben nicht mehr jeder Führung kritiklos hinterher laufen.
Er wachte nun aus einem zweiten Schlaf auf, in dem er über Jahre sehr süß geträumt hatte, dass in seiner Zeit und seiner Welt gewisse Dinge nicht mehr passieren könnten, da er, wie alle Menschen um ihn herum, ja nun aufgeklärt wären und die Menschheit sich weiterentwickelt hat.
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