Re: ...der Wald steht schwarz und schweiget...

Geschrieben von HJH am 25. Dezember 2006 01:35:31:

Als Antwort auf: Re: ...der Wald steht schwarz und schweiget... geschrieben von BBouvier am 25. Dezember 2006 00:49:20:

Germanenfriedhof

Zwischen dem Mönchsee und dem Priestersee, die beide waldumstanden sind, liegt die See-Koppel. Zu frühchristlicher Zeit stand hier eine Klostersiedlung, von der aus das Evangelium zu den Wenden getragen wurde. Noch heute sind die Grundmauern einer Kirche zu sehen, die erst im Dreißigjährigen Krieg zerstört wurde.

Aber noch weiter zurück reicht die Geschichte dieses Ortes. Dort, wo der Fichtenwald eng zusammenrückt, eine kreisrunde Insel bildet auf dem Weideland, dort sollen die Mönche ihre Toten begraben haben, die bekehrten Germanen und Heiden. Um Mitternacht, wenn der Vollmond schien, wachten die verstorbenen Seelen wieder auf, stiegen in langer Reihe zwischen den beiden Seen hoch zum Land, durch die wispernden Bäume zu einem Kultstein, um den - was ungetauft lebte unter den Germanen - sich versammelte zum Opferdienst. Noch im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert, so heißt es, seien die Bauern zum Freidorf mit geheimnisvoll gebrochenen, übereinander gefalteten Buchenzweigen hier waldeinwärts gewandert zur Sonnenwendfeier im Juni und Dezember.

Gebückt krieche nun auch ich unter den überhängenden Zweigen in die schattende Tannenwelt, die so dicht zusammensteht auf dem runden Plateau, daß auch die Sommersonne keine Strahlen dorthin schicken kann. Der Förster hat einst alte Münzen freigeschürft und ein zackiges Steinbeil; ich treffe nur auf einen ausgebleichten Rehschädel, sehe zauberhaft umsponnene Zweige, weißlichgrün veralgt durch den Lichtmangel in dieser folgenschweren Düsternis.

Um das ganze Tannenrund zieht sich ein zwei Meter breiter, mannshoher Graben; Überrest der alten Steinmauer, Steigerung des Geheimnisvollen, weil man - steht man auf seinem Rand - meinen könnte, hier schwimme die Insel der Schatten im weißen Meer des Lebens.

(Aus: Dein Wald-Herbst und Winter; Paul Eipper, Berlin 1937)

Der Wald trauert zwischen den Gezeiten...

Gruß

HJH

>Danke, Tarman!
>Mit jedem Deiner Beiträge übertriffst Du
>noch Deinen jeweils vorhergehenden.
>Ein jüngerer italienischer Philosoph
>hat verwundert auf das merkwürdig-innige Verhältnis
>der Deutschen zum "Wald" aufmerksam gemacht,
>das kein anderes Volk der Erde so kennt.
>Und daher möchte ich Claudius zitieren:
>"...der Wald steht schwarz und schweiget..."
>BB


Antworten: