Zur Zukunft von Deutschland

Lost Centuries, Mittwoch, 06.01.2021, 22:03 vor 1177 Tagen

Der einsame Sanitäter

Ich sitze in einem Auto auf dem Beifahrersitz, den Fahrer neben mir kann ich nicht erkennen. Wir fahren auf einer Straße durch irgendeine Stadt, rechts und links Häuser, undefinierbar und nur schemenhaft zu erkennen. Die Straße verläuft nicht gerade, sondern macht Kurven. Wir sind nicht allein, auf der Straße herrscht reger Betrieb, dort sind auch andere Autos und LKWs. Alle fahren in die gleiche Richtung, es gibt keinen Gegenverkehr.

Plötzlich sind alle Autos dunkelrot, und die Straße beginnt auf einmal steil anzusteigen. Vor uns fährt ein großer LKW, ebenfalls tief dunkelrot gefärbt. Ich sage zum Fahrer, er solle achtgeben und Abstand zum LKW vor uns halten, er müsse aufpassen und dürfe nicht zu dicht an ihn heranfahren, das sei gefährlich. Doch der Fahrer erwidert mir, dass er ganz im Gegenteil so dicht wie möglich an den LKW vor uns heranfahren wolle, denn wenn er nahe beim LKW bleibe und immer dicht hinter ihm herfahre, so komme er bequem über alle Kreuzungen und Ampeln. Man müsse nur dem LKW folgen. So fahren wir eine ganze Weile hinter dem roten LKW hinterher, sobald der Abstand größer wird, gibt der Fahrer Gas, bis wir wieder dicht hinter ihm sind.

Auf einmal schießt von einer Seitenstraße wie aus dem Nichts plötzlich ein Auto von rechts kommend auf die Straße und knallt direkt gegen die Beifahrerseite, wo ich sitze. Unser Auto wird auf die Gegenfahrbahn geschleudert, wo plötzlich ein weiterer Wagen wie aus dem Nichts aus der Gegenrichtung kommend direkt auf uns zufährt, mit uns zusammenstößt und unseren Wagen zum Kippen bringt. Durch die Wucht des Aufpralls schlittert der Wagen auf der Fahrerseite ein ganzes Stück auf der Straße zurück, bis er mit einem dritten Auto zusammenprallt, das wiederum aus unserer Richtung herangefahren kommt. Diesmal schleudert es unser Auto aufs Dach und rutscht auf dem Dach noch einige Meter auf dem Asphalt, bis es schließlich stehen bleibt. Nur am Rande nehme ich wahr, dass auch die Autos um uns herum zusammenstoßen, durcheinandergewirbelt werden und schließlich liegenbleiben. Doch meine Aufmerksamkeit gilt ganz alleine dem Auto, in dem ich mich zuvor befunden habe.

Das Auto, auf dem Dach liegend, befindet sich in einem jämmerlichen Zustand, Totalschaden. Ich blicke durch das zersprungene Seitenfenster in das komplett verwüstete Innere des Autos. Von den Sitzen ist nur noch ein Stahlgerippe übrig. Blutüberströmt hängen die leblosen Körper der beiden Insassen in den Gurten kopfüber nach unten, ein schrecklicher Anblick. Ihre Gesichter sehe ich nicht (zum Glück).

Plötzlich kommt wie aus dem Nichts ein Rettungswagen herangeschossen und bremst vor dem verunglückten Auto. Die Farbe des Autos ist nicht rot, ich kann mich nicht mehr erinnern, vielleicht weiß? Ein Mann springt heraus, eine Art Sanitäter. Ich spüre sein Entsetzen über das, was passiert ist, und dass er gekommen ist, um uns zu helfen. Der Mann ist noch jung und hat südländisches Aussehen, dunkle Haut und kurze schwarze Haare, vielleicht Italiener oder Spanier. Er rennt zu unserem Auto und ich spüre, wie sehr ihm das alles leid tut, wie sehr er uns doch helfen möchte. Doch dann bleibt er stehen und zögert. "Warum tust du nichts?", denke ich verzweifelt, "jetzt hilf uns schon! Hol uns da raus!". Doch der Mann tut nichts und bleibt einfach stehen. Ich spüre seine Verzweiflung, nichts tun zu können, sie ist überwältigend. Zuerst verstehe ich nicht, warum er nichts tut. Dann sehe ich die ganze Szene von oben, von immer höher: Die Stadt ist weg. Stattdessen ist da ein Meer verunglückter roter Autos, wohin man auch blickt, bis zum Horizont, nichts als kaputte, zerstörte Autos, sie liegen kreuz und quer, dicht nebeneinander, es müssen zig-tausende, Millionen Autos sein. Und ganz alleine in der Mitte steht der einsame Sanitäter. Und dann verstehe ich: Er hat keine Chance, es ist sinnlos. Es gibt keine Rettung für uns.