Judo ist nur Sport (Freie Themen)

Isana Yashiro, Freitag, 22.10.2021, 09:23 (vor 910 Tagen) @ Kuddel (841 Aufrufe)

Hallo!


Ich verstehe das gut.

Man versteht einen Menschen nur, wenn man dessen Lebensgeschichte kennt. Man versteht eine Sache nur so gut wie man deren Geschichte kennt.

Habe mich aus sehr ähnlichen Gründen bis zur Teilnahme an der Judo-WM hochgeprügelt.

Das läßt mich allerdings zweifeln, ob Du mich gut verstehst oder doch nur ein Beispiel dafür lieferst, daß so ziemlich jede Unterhaltung über Kampfkunst sinnlos ist. Judo ist schließlich nur ein Sport. Es ist sogar ein Sport, dessen Regelwerk vorsieht, daß eine zu wenig aggressive Kampfweise geahndet wird. Das führt dann zu völlig unnötigen Verletzungen wie die letzten Olympischen Spiele bewiesen haben. Das ist das genaue Gegenteil dessen, wonach man in der Kampfkunst strebt.

Ich muß zugeben, daß ich auch an Wettkämpfen teilgenommen habe. Zweimal. Aber danach hatte ich den Unterschied verstanden.

Dann war auch die Zeit rum, wo man sich auf der Straße, oder in der Schule geschlagen hat.

Wann war dann? In der Zeit als Wettkämpfer oder erst danach? Wenn man sich als Athlet einen Namen macht, dann ist das ein Weg, um den Respekt seiner Mitschüler zu bekommen. Das hilft auch dagegen, schikaniert zu werden. Das liegt jedoch weit abseits von meinem Weg.

Dazu muß ich wohl noch erzählen, daß ich keinen meiner beiden Wettkämpfe gewinnen konnte. Ich stand nämlich mitten auf der Kampffläche und frug mich dort, leider erst dort, warum ich mich mit Leuten schlagen will, die ich nichtmal kenne. Ich hatte keinen Grund dazu. Während es gleichzeitig Leute gab, die ich kannte und die es verdient hätten wenn ich sie windelweich geprügelt hätte. Aber diese Leute stellten sich mir nicht, sondern griffen höchstens aus dem Hinterhalt an und waren dann mindestens zu dritt. Selbstverständlich hatten sie auch immer auf mich eingetreten, wenn ich auf dem Boden lag. Es ist nämlich keineswegs so, daß ein hundertprozentig deutscher Schläger auch nur ein Fitzelchen mehr Ehre hätte als irgendjemand aus dem islamischem Raum oder sonstwoher. Irgendwie war der Wettkampf dann um bevor ich mit Grübeln fertig war. Aber wenigstens hatte ich dadurch dann verstanden.

Vielleicht war es ja bei Dir zu Hause auch ähnlich "kompliziert" wie bei mir und wir wurden
von einem der Dampf ablassen musste zur Dampfmaschine.

Kompliziert schon, ja. So gesehen stimmt es nicht ganz, wenn ich behaupte, daß ich seit vielen Jahren nicht mehr kämpfen mußte. Die Arten der Auseinandersetzung wurden nur immer indirekter. Man kann das gesamte Leben als Kampf auffassen.

Die Affinität zum Paranormalen war bei mir ebenso da, hat jedoch wegen Nutzlosigkeit stark abgenommen.

Ja, total nutzlos. Weil oft übertrieben. Man sagte Ueshiba Morihei (植芝 盛平) nach, daß keine Gewehrkugel oder Pistolenkugel ihm etwas anhaben könne. Ueshiba Morihei (植芝 盛平) ist der Begründer des Aikidō (合気道) und ich nenne ihn auch Ō-Sensei (翁先生). Man sagte, daß er so schnell wäre, daß er jeder Gewehrkugel oder Pistolenkugel mühelos ausweichen könne, aber sollte ihn doch mal eine treffen, dann würde sie wirkungslos von seinem gestähltem Körper abprallen. Der Beweis dafür wäre, daß Ueshiba Morihei (植芝 盛平) aus jeder Mission während des Zweiten Weltkriegs unverwundet zurückkehrte. Aber in Wirklichkeit hatte er einen Verwandten in der Generalität, der dem Kompaniechef des Ō-Sensei (翁先生) den Befehl gegeben hatte, die Kompanie aus jeder gefährlichen Lage herauszuhalten und insbesondere Gefechte zu meiden. Weil das ein ziemlich modernes Beispiel ist, darum ist die Legendenbildung noch nachvollziehbar. Bei älteren Legenden läßt sich der wahre Kern nicht mehr so leicht finden, ist jedoch jeweils gleichermaßen weit von der Legende entfernt.

Nun mag ich Zufälle und Überraschungen, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.

Seltsam. Nur wenige Menschen mögen Überraschungen. In den meisten Fällen sind Überraschungen schlechte Überraschungen.

Damit andere uns leichter folgen können:

Ueshiba Morihei (植芝 盛平) hat Aikidō (合気道) nicht frei erfunden, sondern hatte zuvor Kitō-ryū (起倒流), Shinkage-ryū (新陰流), das meistens unter weniger bekannten Namen aufgezählte Yagyū Shingan-ryū (柳生心眼流), Tenjin Shin'yō-ryū (天神真楊流) und schließlich und vor allem Daitō-ryū Jūjutsu (大東流柔術) studiert. Die meisten davon lehren den Schwertkampf, Tenjin Shin'yō-ryū (天神真楊流) lehrt das Ringen in voller Rüstung. Aikidō (合気道) gilt als Nachfolger des Daitō-ryū Jūjutsu (大東流柔術), ab 1922 als Daitō-ryū Aiki-jūjutsu (大東流合氣柔術) bekannt. Außerdem wurde Ō-Sensei (翁先生) durch die Sekte Ōmoto-kyō (大本教) beeinflußt und unterrichtete anfangs nur Mitglieder dieser Sekte in seinem Stil, der als Ueshiba-ryū Aiki-Bujutsu bekannt war.

Das koreanische Hapkido (合氣道) ist ebenfalls ein Nachfolger des Daitō-ryū Aiki-jūjutsu (大東流合氣柔術).

Tenjin Shin'yō-ryū (天神真楊流) und Kitō-ryū (起倒流) waren die Kampfstile, die Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) lernte, neben etwas Sumō (相撲). Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) ist vor allem als Begründer des Jūdō (柔道) bekannt. Der Name war jedoch seit 1724 für eine andere Kampfkunst in Gebrauch. Diese Kampfkunst wird nun Jikishin-jūdō, Jikishin-ju-jitsu oder einfach Jikishin-ryū (直心流) genannt. Aber zunächst behauptete Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) reformiertes Kitō-ryū (起倒流) zu unterrichten. Diese Kampfkunst ist ausgestorben, daher konnte er das leicht behaupten. Er nahm weitere Techniken auf und nannte seine Kampfkunst Jū-jutsu (柔術). Das überschneidet sich auch mit allen anderen Stilen, die auf -jūjutsu (柔術) enden wie das Daitō-ryū Aiki-jūjutsu (大東流合氣柔術). Deshalb war sein Stil bald als Kōdōkan-jūdō (講道館柔道) bekannt, nach dem Ort, an dem er unterrichtete. Der heute als Judo, korrekterweise Jūdō (柔道), bekannte Sport wurde von Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) extra zu Wettkampfzwecken entwickelt, indem er alle in echten Kämpfen möglicherweise effektiven Techniken aus dem Jū-jutsu (柔術) wegließ.

In Deutschland wurde ein Mischmasch erfunden, der die angeblich besten Techniken aus jedem Kampfsport und jeder Kampfkunst übernimmt. Dieser Mischmasch heißt Ju Jutsu. Daneben gibt es noch ein gleichfalls deutsches Ju Jutsu Do, das deutsches Ju Jutsu mit traditionellem japanischem Jū-jutsu (柔術) nochmal durchmischt. Wegen der Verwechslungsgefahr mit diesen seltsamen Namen wird die Kampfkunst des Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) in Deutschland als Jiu-jitsu bezeichnet. Die japanische Schreibweise wurde dafür natürlich nicht geändert. Von Deutschland aus hat sich die Bezeichnung Jiu-jitsu über die Welt verbreitet, kommt zum Beispiel in Brazilian Jiu-Jitsu vor und sorgt so nicht für weniger, sondern für mehr Verwirrung. Ju-jitsu ist ein weiterer Versuch solchen Namenskonflikten auszuweichen und steht meistens auch für das Jū-jutsu (柔術) des Kanō Jigorō (嘉納 治五郎).

Zur gleichen Zeit wie Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) und Ueshiba Morihei (植芝 盛平) lebte auch Funakoshi Gichin (船越 義珍), der die traditionelle Kampfkunst Karate (空手) von Okinawa auf die japanische Hauptinsel brachte, während die anderen beiden ihre Kampfkunstschulen gründeten. Funakoshi Gichin (船越 義珍) reformierte das Karate (空手) und verstümmelte es auch etwas und nannte das dann Karatedō (空手道). Funakoshi Gichin (船越 義珍) wurde ein enger Freund von Kanō Jigorō (嘉納 治五郎), der ihm dann ermöglichte Karatedō (空手道) in einer eigenen Trainingshalle, der Shōtōkan (松涛館) nach der sein Karate-Stil Shōtōkan-Ryū (松涛館流) genannt wird, in der japanischen Hauptstadt zu unterrichten.

Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) hatte nämlich zu der Zeit einen hohen Posten im japanischen Bildungsministerium inne. Dieser Posten erlaubte ihm auch sein Jūdō (柔道) im Sportunterricht an den japanischen Schulen obligatorisch zu machen und außerdem für sein Jūdō (柔道) als olympische Disziplin zu werben. Das sind die wahren Gründe dafür, warum Jūdō (柔道) auf dem gesamten Globus bekannt wurde. Während andere japanische Kampfkünstler auf die Effektivität ihrer Techniken in der Selbstverteidigung großen Wert legten, war Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) der Erste, der einen harmlosen Sport aus seiner eigenen Kampfkunst machte. Darum wurden Jūdō (柔道) und Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) selbst nicht ernstgenommen.

Totsuka Hikosuke (戸塚 彦介), ein Meister des Yōshin-ryū (楊心流) und damit einer der größten Kampfschulen für traditionelle Arten des Jū-jutsu (柔術), beschuldigte Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) öffentlich nur Ideen, die er aus Büchern habe, zu lehren. Darum hätte auch das gesamte Kōdōkan (講道館) keinerlei kämpferische Fähigkeiten. Andere Meister traditioneller Schulen schlossen sich dieser Ansicht an. Die Ähnlichkeiten zwischen dem Kōdōkan-jūdō (講道館柔道) auf der einen, Karate (空手) wobei das erst später auffallen konnte, Aikidō (合気道) und Sumō (相撲) auf der anderen Seite waren schließlich zu offensichtlich. Karate (空手) kannte (das allerdings erst später, bis dahin war nur bekannt, daß es auf Okinawa noch eine geheimnisumwitterte Kampfkunst gibt) Kanō Jigorō (嘉納 治五郎), weil er Funakoshi Gichin (船越 義珍) unterstützte, Sumō (相撲) kannte jeder Japaner sowieso seit Jahrhunderten, Aikidō (合気道) sollte er eigentlich nicht kennen, weil es Ueshiba Morihei (植芝 盛平) mißfiel wie Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) seinen Posten im Bildungsministerium für seine eigenen Zwecke mißbrauchte. Zum Dōjō (道場) des Ō-Sensei (翁先生) hatte Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) darum keinen Zutritt. Erst in jüngster Zeit behaupten Jūdōka (柔道家), daß Ueshiba Morihei (植芝 盛平) selbst Jūdō (柔道) studiert hätte und das in sein Aikidō (合気道) eingeflossen wäre. Übrigens hat Karate (空手) einen großen Teil seiner Techniken deshalb verloren, weil es durch Judo-Vereine verbreitet wurde und die Jūdōka (柔道家) alles wegließen, was sie schon kannten. Es ist tatsächlich Jūdō (柔道), das seine Techniken aus anderen Kampfkünsten bezog. Wahrscheinlich wurde es deswegen unter diesem allgemeinem Namen, der eher ein Kategorienbegriff ist, bekannt. Totsuka Hikosuke (戸塚 彦介) provozierte sogar Kämpfe zwischen seinen Schülern und den Schülern von Kanō Jigorō (嘉納 治五郎). So weit gingen andere Meister nicht, schließlich betrachteten sie ihre Techniken damals noch als nichtöffentlich. 1886 gab es einen Entscheidungskampf zwischen beiden Schulen, bei dem je fünfzehn Schüler der beiden Meister gegeneinander antraten und der nicht noch klarer zugunsten des Kōdōkan (講道館) hätte ausfallen können. Nach dem Entscheidungskampf wurden die traditionelleren Stile unbedeutend oder starben ganz aus. Aber die meisten Veränderungen an seinem Jūdō (柔道) nahm Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) erst danach vor. Karate (空手) war 1886 noch nur auf Okinawa bekannt und auch das nur unter anderen Namen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden alle Meister der japanischen Kampfkünste dazu gezwungen, amerikanische Soldaten zu unterrichten. Ueshiba Morihei (植芝 盛平) haßte diese Idee und veränderte seinen Kampfstil nochmal völlig. Vor dem Zweiten Weltkrieg lehrte er ein völlig anderes Aikidō (合気道) als danach. Kanō Jigorō (嘉納 治五郎) unterrichtete einen harmlosen Sport, darum machte ihm das nichts aus. Funakoshi Gichin (船越 義珍) entwickelte eine große Freude daran, die Soldaten des Feindes durch die Gegend scheuchen zu dürfen. Die Soldaten mußten Funakoshi Gichin (船越 義珍) schließlich genauso gehorchen wie er sie unterrichten mußte. Aus diesem Umstand ist Vieles von dem, was in Karate-Vereinen als japanische Tradition gilt und auch anderswo als vermeintliche japanische Tradition übernommen wird, erst entstanden. Übrigens änderte Funakoshi Gichin (船越 義珍) die Schreibweise seines Namens Funakoshi (冨名腰) erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf Funakoshi (船越), den ich hier überall verwendet habe, weil man ihn eigentlich nur unter diesem Namen finden kann. Sonst wäre das Ganze noch verwirrender geworden.

Gruß,
Shiro


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