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Re: Schicksal (Freie Themen)

Taurec ⌂, München, Sonntag, 10.10.2021, 16:24 (vor 919 Tagen) @ Pat (1255 Aufrufe)
bearbeitet von Taurec, Sonntag, 10.10.2021, 16:38

Hallo!

Diese Spengler'sche Perspektive zum Schicksal wirkt etwas einseitig fatalistisch.

Die Perspektive besagt, daß es in der Entwicklung der Völker wie in jedem Lebenslauf logisch aufeinander aufbauende, sinnvoll aus der vorherigeb Stufe folgende Entwicklungen gibt. Jede Lebensphase baut auf der vorherigen auf. Historische Erscheinungen haben ihren organischen Platz in der Geschichte eines Volkes bzw. einer Kultur, die sukzessive die metaphysische Idee zum Ausdruck bringt, die ihm bzw. ihr zugrundeliegt.

Das ist kein Widerspruch zu Goethe, sondern baut auf ihm auf. Spenglers Philosophie ist selbst die schicksalhafte Folgerung der Werke seiner geistigen Vorgänger. Anfang des 20. Jahrhunderts, als die kulturelle Entwicklung des Abendlandes vollendet vorlag und das historische Wissen auch über frühere Kulturen hinreichend umfassend war, konnte erst der morphologische Umriß der Gesamterscheinung der Kulturen verfaßt werden.

Die einzelnen historischen Gestaltungen sind nur zu bestimmten Zeiten im Zyklus der Entwicklung möglich. Zum Beispiel:

  • Die wissenschaftliche Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert wäre ohne die geistige Vorarbeit der Aufklärung, des Humanismus und der philosophischen Grundarbeit seit dem Mittelalter (Scholastik) nicht möglich gewesen.
  • Die Entwicklung der Demokratie wäre zu einer Zeit undenkbar gewesen, in der das Ständewesen mit Adel an der Spitze und dem Bauerntum im Fundament noch im Lande (nicht in der Stadt) verwurzelt war. Demokratie ist eine Frucht der großen Städte, in denen sich aus der Hierarchie der Kultur herausgelöste Menschen als Masse sammeln und "Klassen" bilden. Die Voraussetzung hierfür war erst in der Spätzeit mit dem Wachstum der Städte gegeben, die sich funktionell aus dem umgebenden Lande herauslösten und sich selbiges als Provinz unterwarfen. Damit war das Land, der Mutterboden, aus dem sich die Kultur organisch entwickelte, als historische Tatsache ausgeschaltet und der Geist der Weltstädte mit seinen Plänen und Ideologien übernahm die Macht mit dem Anspruch, die Welt nach menschlichem Gutdünken umzugestalten.

Umgekehrt ist es unmöglich, das heutige Europa zu einem mittelalterlichen Feudalwesen zurückzugestalten, in dem jeder einem Stande angehört und die Fürsten das Gottesgnadentum nicht nur als taktische Machtbehauptung vorschieben, sondern tatsächlich des Glaubens sind, als Gottes Stellvertreter von seinen Gnaden schicksalhaft in ihre Stellung geboren worden zu sein und praktisch übernatürliche Macht zu besitzen (vgl. die obligatorische Skrofuloseheilung beim französischen Krönungsritual). Die spirituellen Grundlagen sind im heutigen, nihilistischen Europa nicht mehr gegeben. Es gibt daher keinen Weg zurück. Das Rad der Geschichte läßt sich nicht in die andere Richtung drehen, nur weil es sich der Mensch vorstellen kann. In einer bestimmten Epoche sind nur bestimmte Dinge möglich. Diese Zeichen der Zeit zu erkennen und entsprechend zu handeln, entscheidet über Scheitern oder Erfolg des eigenen Lebens. Und ja: Natürlich gibt es massenhaft Romantiker, die sich in frühere Zustände zurückwünschen (und sei es nur die gemütliche Wohlstands-BRD der Vorwendezeit) und nicht erkennen, daß ihre Ansprüche völlig anachronistisch sind und nicht allein qua der Tatsache umsetzbar, daß sie es sich abstrakt vorstellen können. Sie sind von den geschichtslosen Utopisten nicht sehr verschieden, die einen Plan zu haben meinen, wie die Gesellschaft und die Zivilisation endgültig und richtig aufgebaut werden müsse, damit sie ein für alle Mal funktioniert. Sie alle werden scheitern und verschwinden. Das macht die Tragik der Geschichte aus.

Was für uns in Zukunft noch möglich sein wird, das wird sich wohl noch zeigen. Derzeit scheinen die alten Strukturen noch zu dick und verkrustet zu sein. Das Alte muß wohl erst noch weiter durch stupide Wiederholung überlebter Denk- und Handlungsweisen an sich selbst zugrunde gehen, ehe Neues denkbar wird. Dies zeigt sich z. B. daran, daß noch viele in den Begrifflichkeiten der Masse, der Demokratie und der "sozialen Marktwirtschaft" oder des Liberalismus denken. Man betrachte sich hierzu nur die Entwicklung der AfD zu einer Neuauflage der alten CDU oder Protestbewegungen wie "die Basis" oder die Krall'sche Atlasinitiative, die allesamt von Kindern der Wohlstandsblase vorangetrieben werden, die nicht erkennen, daß diese Seifenblase unwiederbringlich geplatzt ist. Der Untergang dieser überalterten Ideen wird sich mit dem Abtreten der geburtenstarken Jahrgänge und der gleichzeitigen Systemkrise der westlichen Zivilisation vollziehen. Aus den rauchenden Trümmern wird in einer schicksalhaft vorbestimmten Phase notwendig etwas Neues entstehen – und zwar durchaus auf Grundlage menschlicher Ideen, deren Zeit dann gekommen ist.
Auf der anderen Seite stehen Mächte, die im Einklang mit dem "titanischen" Geist der Zeit einen den faustischen Drang der technologischen Weltbeherrschung auf die Spitze treibenden, entmenschlichten und geistlosen Weltstaat anstreben. Es scheint, daß sie dem inneren Gesetze der Zivilisation folgend (abstrakte, anorganische Konstruktionen, schrankenloser Machbarkeitswahn, Demontage aller überkommenen Formen) vom Schicksal in dieser Phase durchaus begünstigt sind, wodurch sich ihr ungebremster Erfolg erklärt.
Ich vermag nicht zu sagen, wie das endet. Das bedeutet aber nicht, daß die Zukunft offen wäre.

Mußt nicht widerstehn dem Schicksal,
Aber mußt es auch nicht fliehen!
Wirst du ihm entgegengehen,
Wird's dich freundlich nach sich ziehen.

Wer das Schicksal annimmt, den führt es. Wer sich grob dagegen sträubt, den zieht es in seine Richtung. Das ist der Sinn des Wortes, das Spengler ans Ende des Untergangs gestellt hat: Ducunt fata volentem, nolentem trahunt.

Beherzigung.

Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Aengstliches Klagen
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.

Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen,
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei.

Ich sehe in diesem Gedicht keinen Widerspruch zu dem obigen. Es geht auch nicht daraus hervor, daß der hier Angesprochene nicht dem Schicksal unterworfen wäre oder sich so sähe. Vielmehr bedeutet es, auch angesichts Widrigkeiten nicht zu verzagen und sein bestes zu wagen. Letztlich ist Leben stets das Ringen gegen Widerstände um Wachstum und Bestand. Dieser Lebenskampf ist ein zentrales Element der spengler'schen Philosophie und läßt sich offenbar auch von seinem Vorbild Goethe ableiten.
Derjenige der in den Unbillen des Lebens allzu schnell kleinbei gibt, droht nicht vom Schicksal übermannt zu werden, sondern im Gegenteil vielmehr seine Bestimmung zu verfehlen. Wer hingegen frohgemut sich behauptet, dem wachsen von höheren Mächten Kräfte zu, die ihm helfen, sein Schicksal zu erfüllen. Es gilt das alte Sprichwort: "Hilf dir selbst, so hilft dir Gott."

In diesem Zusammenhang fällt mir ein Zitat aus dem Film "Last Samurai" ein. Auf die Frage Katsumotos "Glaubt ihr denn, der Mensch kann sein Schicksal ändern?" antwortet der Hauptcharakter Nathan Algren: "Ich glaube, der Mensch tut was er kann, bis sich sein Schicksal offenbart!"

Gruß
Taurec


„Es lebe unser heiliges Deutschland!“

„Was auch draus werde – steh zu deinem Volk! Es ist dein angeborner Platz.“


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