@ Rauhnacht (Übersinnliches & Paranormales allgemein)

Ulrich ⌂, München-Pasing, Dienstag, 22.12.2015, 03:41 (vor 3041 Tagen) @ rauhnacht (5967 Aufrufe)

Hallo Rauhnacht,

Dennoch beurteile ich Inhalte mancher Texte mit einem: „Ja, fast genauso seh ich das auch.“
Und denke dann: „Huh, dieselbe Heimatquelle???“ Und bin sehr wohl von der ähmmm? Wahrhaftigkeit oder so, dessen, was ich da so, ja jeweils vorher und unabhängig, empfinde und denke, überzeugt. >Ist halt einfach stimmig.
Würd mich schon sehr interessieren, wie Du das dann beurteilst.

O.E. Bernhardt hat m.E. die meisten Ideen/Themen seiner Vorträge der Gnosis entnommen.
Würden Bernhardts Texte mich ansprechen, wäre es mir nicht gleichgültig, ob deren Inhalte
a) auf seiner Lebenserfahrung basieren, ob sie sich für ihn aus seiner gelebten Biographie ergeben, oder
b) ob er sie - aus anderer Quelle stammend - "nur" weitergeben will, weil sie ihn intellektuell überzeugen, und er sich bemüht, Verbiegungen und Verfälschungen zu vermeiden, oder
c) ob sie vielmehr einem Zweck dienen, als Propaganda gedacht sind, analog einer Vereins-Satzung, einem Partei-Programm, einem Werbe-Prospekt etc.

Ich neige zu c), weil ich Bernhardt für einen Sektierer, einen Hochstapler, einen notorischen Lügner und Betrüger halte:

"Am 18. April 1923 feierte der mäßig erfolgreiche Schriftsteller Oskar Ernst Bernhardt in Kötzschenbroda seinen 48. Geburtstag. Er lebte damals zur Untermiete in der ersten Etage der kleinen Villa Meißner Straße 250 (damals noch Nr. 15), wo er im Adressbuch ohne nähere Bestimmung als Kaufmann verzeichnet ist. Erwähnenswert werden diese Tatsachen durch eine Legende, die Bernhardt später selbst kolportierte. An jenem Karfreitag nämlich sei Jesus Christus »geistig und persönlich« bei ihm erschienen und habe ihm seine Mission überbracht: Er, Bernhardt, sei der wiedergeborene »Menschensohn« Gottes und dazu berufen, der Menschheit den heiligen Gral zu enthüllen."

So weit so gut, das lässt sich schwerlich widerlegen, aber...

Bernhardt "entdeckte während der Verbüßung einer dreizehnmonatigen Haftstrafe wegen Betrugs schon 1903 sein Talent zum Fabulieren. Die abenteuerlichen Begebenheiten einer angeblich großen Asienreise, die er in seinem angeblich autobiographischen Reisebericht »Aus fernen Landen« (2 Bände, 1906) – seiner ersten Buchpublikation – wortgewandt ausbreitete, waren mehr oder weniger frei erfunden. Und auch am Bildungsgang, den er sich für das »Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten« von 1913 zurechtlegte – Gymnasium, Studium der Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften –, stimmte kein Wort.
Die Parallelen zu Karl May, der ja ebenfalls über den Knast zum Schreiben gekommen war und sich den Doktortitel selbst verlieh, fallen ins Auge, und sie gehen noch weiter. Wie May litt Bernhardt unter einer unglücklichen ersten Ehe und fristete seine frühe Existenz als freier Schriftsteller mit dem Verfassen von Kolportageromanen (z.B. »Der Haremsfürst oder das Geheimnis der Mädchenhändler«, 1909). Wie May bezog Bernhardt seine Stoffe aus nicht sicher dokumentierten Orient- und Amerikareisen. Für sein Orientbuch ließ er sich sogar in Hadschi-Halef-Omar-Pose mit Fez und Flinte ablichten."

Quelle: "Kötzschenbrodaer Geschichten · Teil 62: Der Gralsritter aus Kötzschenbroda" von Frank Andert
http://www.apotheke-radebeul.de/fileadmin/user_upload/doc/apothekenspiegel/Koetzschenbrodaer_Geschichten_62.pdf
Der Autor Frank Andert, Radebeul, ist Historiker, Mail-Anschrift und Tel. finden sich hier: http://www.radebeul.de/radebeulmedia/Dokumente/Sonstiges/Festprogramm.pdf , falls ihn jemand nach den Quellen seiner Recherchen fragen will.

Anekdoten:
"Der Gral befasst sich zu dieser Zeit mit alchemistischen Experimenten. Man glaubte, dass das Medium [gemeint ist: Maria Freya, Bernhardts zweite Frau] nach Anweisung eines der Geister Gold herstellen kann. Zu diesem Zweck werden die Jugendlichen in die Berge geschickt, um die entsprechenden Steine zu suchen. Die Suche konzentriert sich auf die Umgebung der Hütte am Enziananger.
Unter Anleitung eines Ingenieurs von Siemens sprengen sie Steine aus dem Felsen, anschließend wird das Gestein behauen und eingepackt. ...
Am anderen Morgen schleppen sie die mit Steinen schwer beladenen Rucksäcke hinunter ins Gralshaus. Dort werden die Steine zerkleinert und in einer Gesteinsmühle zermahlen. Auf diese Weise erhält man ein feines Pulver, das zusammen mit Sprengpulver in einen Sprengtiegel gefüllt und dann gezündet wird. Das ist ein großer Spaß. Unter Einwirkung der Hitze und des Drucks entstehen reizvolle Gebilde von verklumptem Metall, welches im Steinmehl enthalten war. Die gewünschten Goldstücke sind es nicht."

"Im Laufe der Zeit wird immer klarer, dass Abd-ru-shin sich für die Reinkarnation von Parzival hält, mit dem Auftrag, die Schöpfung zu reinigen. Die Mitglieder der Gralsgemeinde stellen ihr ganzes Vermögen in den Dienst des Grals, der einen unersättlichen Bedarf an Geld hat und neben den Einkünften aus dem Sanatorium auch das private Vermögen seiner Mitglieder verbraucht. Es gibt zunehmend Auseinandersetzungen zwischen Ma und Abd-ru-shin, weil sie ihn nicht für göttlich hält und mitverantwortlich ist für Praktiken des Grals, hinter denen sie nicht steht. Sie hat ihr ganzes Geld in das Gralshaus in Bad Heilbrunn gesteckt und sich von Abd-ru-shin abhängig gemacht. Dieser hat das Interesse an ihr verloren, weil sie inzwischen mittellos ist. Dann muss sie mit ansehen, wie immer neue Gläubige ihren ganzen Besitz dem heiligen Mann zu treuen Händen übergeben."

"Eines Tages teilt Anna Abd-ru-shin mit, dass sie den Gral verlassen will und verlangt die Summe zurück, die sie für das Bad Heilbrunner Haus gegeben hat. Abd-ru-shin will darauf nicht eingehen und die beiden geraten in eine heftige Auseinandersetzung, bei der Abd-ru-shin sie zuletzt verflucht. Ma sagt danach zu ihren Söhnen: »Erst hatte ich das Geld und er die Erfahrung, jetzt hat er das Geld und ich die Erfahrung.«

Quelle: Sinda Dimroth: "Das große Verschweigen. Roman einer Familie"
http://www.amazon.de/Das-große-Verschweigen-Sinda-Dimroth/dp/3957800307

Deshalb:
a) kommt m.E. nicht in Frage, zwischen gelebtem Leben und schriftlicher Lehre gähnt Leere.

b) halte ich für unglaubwürdig, weil wer ohne Not Stationen seines Lebens erfindet, um sich interessant zu machen, dem traue ich auch zu, bei der Weitergabe der Ideen anderer zu fabulieren.

c) liegt m.E. nahe wegen der zeitlichen Umstände:
1911 gründet die Theosophische Gesellschaft den "Order of the Star of the East", um den Inder Jiddu Krishnamurti in seiner ihm von der TG zugedachten Rolle als "Weltlehrer" bekannt zu machen. Dies führt 1912 zum Bruch zwischen Rudolf Steiner und der TG. Einen Großteil der deutschen TG-Mitglieder wirbt Steiner ab für seine "Anthroposophische Gesellschaft". Am 28. Dezember 1925 bekennt sich Krishnamurti in einer öffentlichen Rede zu seiner Rolle als "Weltlehrer".
- ab Frühjahr 1924 wohnt Bernhardt in Bad Heilbrunn, Bayern: "Allmählich kommen immer mehr Gäste in das Gralshaus. Es sind die Anhänger Abd-rushins, Erholungssuchende und unheilbar Kranke, die, von der Schulmedizin aufgegeben, sich Trost und Hilfe durch das Medium erhoffen." (Sinda Dimroth)
- 1926 veröffentlichte Bernhardt einige seiner Vorträge in Buchform unter dem Titel »Im Lichte der Wahrheit – Neue Gralsbotschaft«

Der "Weltlehrer" der TG bleibt hinter den Erwartungen seiner Jünger zurück, die Mitgliederzahlen der TG schwinden, schließlich löst Krishnamurti 1929 den "Order of the Star of the East" auf.
- ab 1927 hält Bernhardt öffentliche Vorträge
- ab 1928 bezieht Bernhardt das Anwesen auf dem Vomperberg, entwirft Pläne für eine "Gralsburg", die 12.000 Menschen beherbergen kann und einen Tempel für 10.000 Personen.
- 1928 veröffentlicht Friedrich Mörbitz die Schrift "Der Kommende!? Wir haben Seinen Stern gesehen! Ein astrologischer Fund." (Text: https://www.youtube.com/watch?v=IAnlWyVCwA4 )
Unter Verweis auf die Johannes-Offenbarung, Nostradamus, Lorber, den Propheten Daniel usw. stellt er die Vermutung an, daß "wir bereits in dem Beginn gewaltigsten Geschehens stecken" worauf eine Lobhudelei auf Bernhardt folgt und er astrologisch auszuloten versucht, ob es sich um den "Menschensohn", "eines Retters aus dem gegenwärtigen geistigen, religiösen und politischen Wirrnissen und Kriegsnöten" und um die "nach der heiligen Schrift verheißenen Wiederkunft des Messias" handelt. Bernhardt dankt es Mörbitz, ihn zur Reinkarnation von Johannes Kepler zu erklären. :rotfl:

Die "144.000 Berufenen", denen Bernhardt in Aussicht stellte, mit ihm zusammen die Vernichtung von 2/3 der Menschheit durch das Erscheinen des "Großen Kometen" zu überleben, blieben aus. Sie liefen in diesen Jahren einem anderen Heils-Versprecher hinterher, wie man weiß.:kotz:

Bernhardt hat m.E. versucht, die Gunst der Stunde zu nutzen und dem vorhandenen Angebot an Welterklärungs-Modellen ein weiteres zur Seite gestellt: Abendländischer als die gerade untergehende "Theosophische Gesellschaft", näher am gemeinen Volk als die sich elitär gebenden Anthroposophen.
Daß er das Grals-Thema für seine Zwecke instrumentalisierte und dadurch in direkte Konkurrenz zu Otto Rahn ( https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Rahn ) geriet, der dieses Thema als „ariosophischer“ Weltdeuter für sich beanspruchte und haarsträubende Querverbindungen zwischen Katharern, Buddhisten, der Sage vom Heiligen Gral, Kelten und Druiden konstruierte, mag dazu beigetragen haben, daß Bernhardt 1938 gezwungen wurde, den Vomperberg zu verlassen.

Selbst dieses endgültige Scheitern seiner monomanen Messias-Phanatasien deutet Bernhardt noch um:
Nicht er, sondern die "144.000 Berufenen" hätten versagt, weshalb zur Strafe der Beginn des 1.000-jährigen Friedensreiches auf unbestimmte Zeit verschoben wird.

Es gelingt mir nicht beim Lesen von Bernhardts Vorträgen, den Eindruck beiseite zu schieben, mit Halbwahrheiten getäuscht zu werden. Deshalb würde ich eher die Quellen lesen wollen, in denen er gewildert hat.

Zur Aufheiterung:
Gustav Meyrink: "Hochstapler der Mystik" http://www.payer.de/religionskritik/meyrink06.htm

Gruß
Ulrich


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